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Seit gestern ist mein Mann in New York. Der Herr befindet sich auf einer Lesereise. Der Gute schreibt erotische Romane. Mit großem internationalen Erfolg. Seine Bücher sind bereits in acht Sprachen übersetzt. Es ist unglaublich, dass sich dieser Schwachsinn so gut verkauft. Aber die Leute lieben es. Sie wollen es lesen. Dabei ist alles ausgedacht. Ich kenne doch meinen Mann. Der wäre gar nicht in der Lage zu diesen Turnübungen. Die Bandscheiben. Erstaunlich ist, dass seine Lesungen fast ausschließlich von Frauen besucht werden. Da scheint er irgendetwas getroffen zu haben. Selbst emanzipatorisch denkende Frauen zollen ihm Beifall. Ich kann darüber nur lachen. Aber als wirtschaftlich denkende Verlegerin ist mir das nur Recht.

Mein Mann versteht seine Werke als Aufklärung. Ich weiß noch genau wie er mir das sagte. Als würde er mir ein Geständnis machen. Das war nach dem Erfolg seines dritten Romans. In Paris. Wir fuhren auf der Périphérique. Mein Mann sagte, Paris erinnere ihn an dieser Stelle an einen Baumkuchen. Wenn ich an einen Baumkuchen denke, schmecke ich Schokolade und Teig, sagte ich. Er sagte, es ginge nicht um den Geschmack sondern um die Architektur, das alles hier zwischen der Porte de Montreuil und der Porte de Vincennes in Scheiben wie auf einem Spieß stecken würde, die Straßen, die Plätze, die Appartementhäuser. In Paris kann man nur nach oben leben, alles andere ist Bullshit. Das stieß er verächtlich hervor, wie jemand, der erlebt hat, dass ihm die Leute zunächst nicht glauben werden, aber dann, eines Tages bekommt er die verdiente Anerkennung, aber für ihn kommt sie zu spät. Oder so ähnlich. Auf alle Fälle ungerecht. Wie Männer eben so sind. Übertreiben immer. Und können sich nicht präzise ausdrücken. Was ja mein Mann mit seinem Baumkuchenvergleich bewies. Erst Baum, dann Spieß, sagte ich, so geht das aber nicht, sprachlich gesehen. Er wusste sofort was ich meinte, sagte aber ohne Skrupel, dass er nur einen zweiten Vergleich herangezogen habe, weil er meinte, ich habe den ersten nicht verstanden.

Wie Schlingpflanzen wanden sich die Straßen um die Häuser, liefen zwischen ihnen hindurch und wuchsen über sie hinaus. Eisen, Stahl, Aluminium, Inox, Zink, Rohre, Stangen und dazwischen schwarze Vierecke, rote Rechtecke, gelbe Kreise, grüne Linien, weiße Blitze, lange Lichter, orangefarbene Tunnel, Ausfahrten, Einfahrten. Vorpreschen, Stehenbleiben, Vorsprechen, Stehenbleiben. Links das im Licht der Schweinwerfer flackernde Heck eines holländischen Reisebusses, rechts der betonierte regungslose Arm einer Brücke, der so tief hing, dass ich unwillkürlich den Kopf einzog. Zwischen den Autos Motorräder, auf denen gekrümmte mattschwarze Figuren hockten, die mit einer Geschwindigkeit rasten als wären sie von der Polizei verfolgte Selbstmordattentäter oder sonst wie auf der Flucht vor dem Tod,  Das war die eine Seite der Geschichte.

Die andere war die Behauptung meines Mannes, ich habe etwas was er gesagt hätte nicht verstanden. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil er wohl an meinen geistigen Fähigkeiten zweifelte ihn zu verstehen. Zur Entschuldigung für meinen Mann muss ich sagen, dass er einundzwanzig Jahre älter ist als sich. Da sehe ich ihm schon einiges nach. Aber eben nicht alles. Und das hier ging mir zu weit. Deshalb sagte ich, er solle sich vor Peinlichkeiten hüten. Ich wusste, dass ihn das Wort Peinlichkeiten in tiefste Verwirrung stürzen würde und prompt erhielt ich die Bestätigung, denn er drehte ruckartig den Kopf zu mir und quäkte wie ein empörter Ganter: Wie meinst du das?

Fast wäre ich mit unserem Porsche einem Klempner hinten ins Auto gefahren, so musste ich lachen. Innerlich. Über diesen Mann. Ein Ganter, der erotische Bücher schreibt. Wie Ganter es sich vorstellt. Ich musste so laut loslachen, dass mir die Tränen aus den Äugen schossen und da wäre ich fast in diesen Klempner reingefahren, in diesen weißgetünchten Kastenwagen mit der Aufschrift Plombier. Und darunter Depannage 24/24. Ging gerade noch einmal gut, aber mein Mann schrie: Was machst du denn, und dann, was lachst du denn?

Wieder so eine Situation. Zwei Fragen. Auch typisch Mann. Als ob eine nicht reichen würde. Eine andere Auffälligkeit ist die, bei meinem Mann jedenfalls, er beginnt fast immer den Satz mit dem Kommando: Paß auf. Also etwa so: Paß auf. Ich geh jetzt oder paß auf, ich bin müde oder paß auf, ich geh gleich ins Bett. Paß auf, ich habe Hunger. Als ich ihn deswegen einmal zur Rede stellte, staunte er mich verdutzt an. Er würde es selber gar nicht hören und auch nicht so meinen. Paß auf, ich muss jetzt noch ein wenig tippen. Damit ging er aus dem Salon und verschwand in seinem Arbeitszimmer.

Paß auf, schnarrte er, erstens wo du hinfährst und zweitens was du sagst. Kurz vor der Porte d’Italie, denn wir mussten in das Hotel Lutetia, denn dort sollte mein Mann, der schnatternde Ganter, vor handverlesenem Publikum lesen. Deutscher Botschafter, Kulturstaatssekretär auf französischer Seite plus das ganze Drumherum eben.

Gerade wenn jemand wie mein Mann über einem hochsensiblen Bereich der Menschheit, der Beziehung zwischen Frau und Mann Bücher schreibt, sollte er sich vor Peinlichkeiten hüten. Das wusste mein Mann. Der ist nicht dumm, sieht die Welt aus einem bestimmten Winkel, ausschnittsmäßig und entwickelt dazu eine Vorstellung vom Ganzen. Ein Verfahren, welches in meinen Augen nur fehlerhaft sein kann, denn es gibt auch Dinge, bei denen man nicht vom Detail auf das Ganze schließen kann, ohne sich schwer zu vertun. Um ehrlich zu sein, mein Mann ist das beste Beispiel. Ich glaubte eine kurze Zeit, hinter seiner Betrachtungsweise würde sich diese so in kurzen Ausschnitten angedeutete Welt tatsächlich befinden. Es waren schöne Ausschnitte. Aber ich habe begriffen, dass ich ihm wegen dieser Täuschung nicht böse sein kann. Er konnte die Dimension seiner Beschreibungen genau so wenig begreifen wie ein Marienkäfer die deutsche Rechtschreibung begreift. Vielleicht macht gerade das seinen Erfolg aus. Diese unbeabsichtigte Komik, die sich in seiner an sich tragischen Sichtweise verbirgt.

Paß auf, wie meinst du das, gnatterte er wie ein schlecht eingestellter Radiosender. Jetzt war er wieder am bohren.

Wie ich es sage. Hüte dich vor Peinlichkeiten.

Kurze Denkpause bei meinen Mann.

Dann

Verstehe. Du meinst die ganze Sache zwischen der 56 und 72 Seite. Wo sie zu ihm sagt, sie würde auch aus lauter Liebe zu ihm nackt einkaufen gehen.

Ob ich das meinte, fragte er.

Der ganze Blödsinn mit gehören und gehorchen, genau, sagte ich, wer redet denn so? Niemand. Und Frauen schon gar nicht.  Als Antwort folgte wie ich es erwartet hatte ein Vortrag über das Entstehen von irrigen Meinungen in den Köpfen des weiblichen Gehirns. Da kannte sich mein Mann schon immer sehr gut aus, zumindest meinte er das. Allgemein gesprochen haben wir es hier mit einer weiteren Eigenart des Mannes zu tun. Seiner Überheblichkeit. Die Herren wissen alles aber verstehen nichts. Bahnhof. Glauben aber, sie blicken schwer durch. Besonders was uns Frauen angeht. In Wirklichkeit haben sie keine Ahnung. Darüber muss ich bei meinem Mann schon seit Jahren lachen. Es kommt mir vor als erlebe ich eine nicht enden wollende Komödie. Deshalb habe ich ihn ja auch geheiratet. Ich wusste, mit ihm würde es nicht langweilig und immer sehr, sehr komisch. Schon sein mündlich vorgetragenes Verlangen mich zu heiraten. Pass auf, schrie er mich an, völlig hysterisch und völlig unvermittelt, während eines Abendessens in einem Hamburger Nobelrestaurant. Ich dachte von hinten flöge eine Handgranate heran, deshalb warf ich mich nach vorne auf den Tisch, mit dem Gesicht versehentlich in die Vorspeise, alles stürzte zusammen. Aber mein Mann schrie unberührt weiter: Wollen wir heiraten. Aus dieser Geschichte hat mein Mann später gedreht, ich sei über seinen Antrag so gerührt gewesen, dass ich ohnmächtig geworden und mit dem Kopf in die Vorspeise (Feldsalat mit Sahnespecksauce) gefallen sei. Solche Dinge beschreibt mein Mann ohne jeden Respekt vor der Wahrheit und vor mir. Die Wahrheit kennt mein Mann gar nicht, die ist ihm fremd als Vorstellung oder Begriff. In seiner Welt gibt es nur Geschichten, die mit der Wirklichkeit so viele zu tun haben wie der Ankerplatz eines Schiffes mit der eigentlichen Seefahrt. Natürlich lasse ich meinen Mann gewähren, schließlich verkaufen sich seine Bücher sehr gut. Trotzdem kritisiere ich ihn. Ein Mann wie der meine lebt überhaupt nicht in der Neuzeit, höchstens körperlich, biologisch. Vom Sozialverhalten her bewegt er sich immer noch im Mittelalter, manchmal scheint er geradezu durch die Steinzeit zu schlurfen. Männer wie der meine und die Moderne sind ein Gegensatz während Frauen und die  Zukunft ein Paar, eine dynamische Einheit bilden. Das beweist er mir täglich geradezu mit einer rührenden Offenheit. Ohne es zu wissen. Ganz unschuldig ist er auf diesem Gebiet.

In seinem seinem zweiten Roman lässt er auf einer einsamen Insel einen von der Zivilisation unberührten jungen Mann rumlaufen. Der lebt auf dieser Insel ohne Kleider, er kennt sie überhaupt nicht, und er schämt sich nicht, weil ihm die Scham unbekannt ist. Eines Tages wird dieses seltsame Exemplar von zwei Tierforscherinnen eingefangen, mit einem Netz und in dem zappelt und strampelt der Nackte herum, aber er kann sich nicht mehr befreien und die Tierforscherinnen machen mit ihm wissenschaftliche Experimente. Spiel und Sexualtrieb werden genauso untersucht wie Auffassungsgabe und Erinnerungsstärke. Das wird auf 300 Seiten spannend und anregend geschildert. Mangelnde Fantasie ist kein Thema bei meinem Mann.

Bei meinem Mann habe ich die Feststellung gemacht, dass sich das Unbewusste durch Worte zu erkennen gibt. In ihm schlummern noch Fragmente aus einer Zeit, in der der Mann es sich erlauben konnte über die Frau zu herrschen. Diese Epoche ist aber längst vorüber. Zwar kann sein Ich diese Tatsache begreifen nicht aber sein Unterbewusstsein. Das rebelliert immer noch, aber, es rebelliert in kontrollierbaren Bahnen. Mein Mann äussert sich sprachlich. Mit sprachlichen Mitteln versucht er die Umwälzungen, die zwischen den Geschlechtern stattgefunden haben und die ja noch lange nicht abgeschlossen sind, zu verarbeiten, mit seinen Mitteln. Er ist ja kein promovierter Soziologe.

Nach den Erfahrungen, die ich mit meinem Mann gemacht habe, komme ich zu dem Schluß, dass zumindest er entwicklungsmässig zwischen dem Tier und der Frau steht. Aber das kann mein  Mann natürlich nicht einsehen, nicht akzeptieren, nicht zugeben. Aber er arbeitet dran. Wie soll er das auch so auf die Schnelle begreifen?  Schliesslich haben er und seinesgleichen über Jahrhunderte es geschafft uns zu unterdrücken. Nun ist seit einigen Jahrzehnten Schluß damit. Das ist natürlich für ihn gewöhnungsbedürftig.

Mein Mann lebt in einem permanenten Irrtum. Er kann zwar aufrecht gehen und meint freie Entscheidungen treffen zu können. Ohne uns Frauen zu fragen. Anstatt auf uns zu hören und zu tun was wir ihm raten, widersetzt er sich, ist aufmüpfig und verhält sich oft kontraproduktiv. Wie es um sie steht, zeigt ja auch der auffällig entwickelte Sexualtrieb der Herren. Sie haben fast nur eine Sache  im Kopf und jede halbwegs intelligente Frau kann sich das zu Nutze machen. Die ewige Sucht nach Befriedigung ist die Schwäche des Mannes. Diese Triebbefriedigung macht ihn zum Sklaven. Männer sind alle mehr oder weniger abhängig davon. Daran liegt unsere Stärke. Wir können sie nach Lust und Laune benutzen. Als potente Zuchtbullen, als Schoßhündchen an der Leine oder wir sehen nichts als lustige Äffchen in ihnen. Leider können bei dieser Erkenntnis nicht alle Frauen mithalten. Deshalb sieht die Sache statistisch betrachtet noch recht ungünstig aus, aber ich bin sicher dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ähnlich ausgeprägt wie der Sexualtrieb ist auch der Spieltrieb des Mannes entwickelt. Der Mann braucht nur einen Ball zu sehen und schon rennt er hinter ihm her und versucht ihn mit dem Fuß in einen Kasten zu schießen. Damit kann er sich jahrelang beschäftigen. Oder er fährt so schnell er kann im Kreis, Runde für Runde. Ohne zu Kotzen. Das ist doch sehr erstaunlich. Jede Art von körperlicher Bewegung fasziniert den Mann ungemein. Springen, laufen, stoßen, rutschen, sogar mit Tieren, damit verbringt der Mann sehr viel Zeit. Was ja nichts anderes bedeutet, als das der Mann eben, von einigen Ausnahmen abgesehen, etwas beschränkt sein muss. Bescheiden gesagt.

Diese geistige Beschränktheit äußert sich auch im plötzlich ausbrechenden Aggressionstrieb des Mannes. Urplötzlich bricht es aus ihm heraus. Dann wird der Mann gefährlich, unberechenbar und wir Frauen müssen uns sehr in acht nehmen sonst endet die Sache unschön. Unzählige sind schon Opfer dieser Ausraster geworden.

Wenn sich eine Frau einen Mann hält, muss sie wissen, dass der nicht immer zahm ist. Das unberechenbare können wir so schnell nicht ihm abgewöhnen, das ist der Rest des Tieres in ihm, das Restchen Ungezähmtheit, was wir ja auch lieben, wenn wir ehrlich sind. Diesen Kampf mit den Kerlen. Zeitweise ist das amüsant und anregend. Manchmal aber sehr lästig. Der Mann verträgt im Grunde keine Freiheit, sie macht ihn unglücklich und er stellt deshalb Unsinn an, gefährlichen Unsinn. Um das zu verhindern müssen wir ihn an die leine legen. Eben wie einen Hund, ein Tier eben. Es wird eine Gesellschaft geben, in der die Männer von Frauen als das behandelt werden was sie eben sind: Tiere, Tiere die auf zwei Beinen gehen und ganz hübsch anzuschauen sind und mit denen wir unsren Spaß haben. Das ist alles meine ganz pr9ivate Meinung über Mann. Zu den Erkenntnissen haben mich meine Studien gebracht, die ich über das Zusammenleben mit einem Mann gesammelt habe. Mit meinem Mann, den ich wenn ich ehrlich bin aus lauter Neugierde geheiratet habe, aus Lust am Erforschen sozusagen, um das Verhalten des Mannes hautnah zu erleben. In allen Bereichen. Im Grunde ist mein Mann mein Versuchskaninchen, meine Laborratte mein Reitpferd, mein bockiger Esel. Ich gebe ihm eine Süßigkeit und um diese wieder und wieder zu erlangen verhält sich so, wie ich es verlange. So dressiert man ein Tier. Und da sich der Mann  genauso verhält, müssen wir sagen, der Mann ist ein Tier. Er gehört in die Gattung Tier. Tiere kann man zähmen, wie eben auch der Mann zu zähmen ist. Wenn er nicht gehorcht gibt es saures. Kultur kann keinem Mann wirklich nahe gebracht werden. Die begreift sein Hirn nicht. Der Mann kann dafür ziemlich gut nachäffen. Das denkt er sei Kultur, hält es dafür, hält er für kreativ.

Wenn mein Mann kreativ wird es ganz schlimm. Neulich sollte er den Tisch für acht Gäste eindecken. Eine komplette Katastrophe. Aber ich habe es doch nur gut gemeint, sagte er, es sollte doch auch nach etwas aussehen, schließlich kommt ja nicht irgendwer zum Abendessen.

Aber deshalb brauchst du doch nicht alles mit Lorbeerblättern zu zudecken. Das macht man aber jetzt so.

Das meine ich mit nachäffen. Der Mann sieht etwas und macht es sofort nach. Zwanghaft. Mein Mann sitzt vorm Fernseher und sieht einen Werbefilmchen, eine wirklich billige Produktion ohne Tiefgang und Logik. Plötzlich springt mein Mann auf, stürzt in die Küche und sucht Kartoffelchips. Die es natürlich nicht gibt. Sie machen dick und sind ungesund. Also bekommt er sie nicht. Oder aber er muss sie sich von der Tankstelle holen. Ich jedenfalls bediene ihn nicht damit. Also, er sucht und wühlt in der Küche, dann kommt er zurück und sagt:

Paß auf, ich fahre noch einmal zur Tankstelle.

Jetzt, frage ich, warum?

Ich möchte schließlich wissen wo mein Mann um halb zwölf in der Nacht hinrennt. Deshalb habe ich meinem Mann beigebracht sich bei mir abzumelden. Er meldet sich zwar ab, hat aber in der Abmeldung einen unverschämten Ton, aber ich überhöre das zunächst.

Ich will mir noch die Welt am Sonntag kaufen sagte er.

Und mit was kommt er zurück Mit einer tüte Chips. Im Fernsehen gesehen und sofort raus und kaufen. Und dabei noch lügen. So sind sie nun einmal. Aber ich dachte mir, das hat ein Nachspiel. Das hört sich alles ab wie lifesyle und Magarine, entspricht aber den Tatsachen. Während er auf dem Weg zur Trankstelle war, dachte ich mir eine kleine Überraschung für ihn aus. Ich zog mich um, dimmte die Beleuchtung und legte mich aufs Bett.

Manchmal befürchte ich, dass ich den Ton, der sich in diese Seiten eingeschlichen hat, nicht mehr verändern kann. Diese  sich in Andeutungen ergehenden Sätze mit diesen absolut peinlichen Inhalten.

Ob ich das meinen würde, diese Textpassagen.

Er kannte seine werke erstaunlich gut. Er konnte aus dem Stegreif ganze Seiten auswendig hersagen. Paß auf, ich zitiere jetzt wirklich, sagte er.

Peinlich oder nicht sagte ich, mit dem was du da bisher abgeleiert hast kannst du dich nicht zur Ruhe setzen, es sei denn, dir ging es nur darum schnell viel Geld zu verdienen. Er könne nur das schreiben, was er glaube, antwortet er, oder sehe, empfinde, fühle, erfahre und erlebe. Auch typisch für meinen Mann. In Situationen wo es für ihn eng werden könnte verfiel er ins Aufzählen, als müsse er vor seinem ende noch alles loswerden, was er schon immer sagen wollte und dabei verhaspelte er sich natürlich und variierte zwanghaft die Begriffe. Er sagte das auf wie ein Schüler ein Gedicht hersagt, geradezu rührend in seiner pedantischen Betonung. Ich lasse ihn gewähren. Schon seit Jahren. Das ist das Geheimnis meines Erfolges.

Durch die grünen Gläser meiner Sonnenbrille sah mein Mann auf dem Beifahrersitz aus als sei er  aus Glas gefertigt, so dünn und durchscheinend wirkte er. Dazu krallte er sich mit der rechten hand an den Türgriff und wenn ich bremsen musste bremste er automatisch und schreckhaft erstarrt mit. Ich weiß wie ich in Paris Auto fahren muss.  Mein Mann ist mit den Jahren zu einem Heiligen aus Glas geworden, zu einem der sich einbildet er sei ein Heiliger. Mit seinem Wahn lebt mein Mann immer noch im Mittelalter. Vor der Zeit der Aufklärung jedenfalls.

Vom Erfolg dieses Buches  habe ich ihm ein kleines Haus, welches direkt unter einer verfallenen Festung in einem kleinen Ort in Frankreich steht,  gekauft, an der Loire, nicht weit von Paris. Dorthin zieht er sich zurück um zu arbeiten. In letzter Zeit fällt mir vermehrt auf, dass mein Mann anfängt wunderlich zu werden. Seine Fantasien beherrschen ihn mehr und mehr und er scheint sie nicht mehr von der Wirklichkeit trennen zu können. Für seine Schreibarbeit ist das gut, für das funktionieren im täglichen Leben aber hinderlich. So hat er mir neulich erzählt, er habe schon einmal in diesem Dorf gelebt, im zwölften Jahrhundert. Ich fragte ihn sofort, ob er diese Behauptung beweisen könne. Durch seine Anwesenheit, sagte er nicht sehr logisch. Du bist die erste der ich das erzähle, sagte er. Das hört jede Verlegerin gern und um ihm Mut zu machen, schenkte ich ihm noch einen tüchtigen Schluck eiskalten Sancerre ins Glas.

Paß auf, sagte er, ich habe hier schon im zwölften jahrhundert gelebt hier, im Chateau gailklard, als Graf. Das war typisch für meinen mann. Seit Jahren schon hat er einen Adelstick und hält sich besonders in Nachtzeiten für einen Grafen.

Ich war jung, sagte er.

Aha, sagte ich.

Und verliebt. In  die Tochter der Bäckerfamilie.

Nicht sehr standesgemäß, bemerkte ich.

Wenn man verliebt ist, spielt das keine Rolle.

Aha, sagte ich.

Hier im Garten habe ich mich mit Emilia getroffen.

Aha, sagte ich.

Dann begann mein Mann Emilia schwämerisch zu beschreiben. Dunkle Haare, grüne Augen, ein schmales nachdenkliches Gesicht, meist mit einer steilen Stirnfalte zwischen den Augen, die Brauen länglich gekurvt, der Mund oft spöttisch, die Lippen beweglich mit einer Lieblichkeit, dass er, mein mann, ganz verzückt guckte. Der Körperbau von harmonischer Perfektion und ihre Bewegungen sinnlich beherrscht, lasziv und lüstern aber auch kindlich unschuldig. Unbewußt selbstverstäbndlich, ergänztr mein Mann.

Natürlich, sagte ich, unbewusst.

Sie siebzehn, ich neunzehn.

Aha, sagte ich.

Paß auf, sagte mein mann, an alkle Einzelheiten kann ich mich auch nicht mehr erinnern. Ich habe jedenfalsl hier oben im Obstgarten gestanden. Von hieer hat man immer noch einen Blick auf die Stadt und die Straße hinauf zum Chateau, die hat sich immer so geschlängelt wie bdas jetzt auch nich macht. Ind da komnnte ich Jukiette immer sehen wie sie, gekleidet in ihre hellbraune Tunika und dem Holzsandeklen an den Füssen mit dem gefüllten Brotkorb hinauf zum Schloß wanderte. Erst ging sie in die Küche und leiferte die Backwaren ab und dann kam sie zu mir den gharten und wir setzten uns auf die Steinbank.

Und, fragte ich.

Und hielten Händchen. Noch was?

Natürlich sagte ich, du musst an deine Leser denklen. Es sind ja zu achtzig Prozent Frauen. Die möchten gerbne wissen was ihr da noch so getrieben habt.

Paß auf, sagte mein Mann, das kommt alles noch.

Wo habt er es den getrieben? Im Weinkeller?

Auch, aber am liebsten in der vollen Mehlwanne. Unten in der Bäckerei.

Das ist mal etwas neues, sagte ich. Aber geht das überhaupt?

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Aber ich sehe noch den nackten Körper von Juliette, das heißt, er war nicht nackt sindern von oben bis unten mit Mehlstaub bedeckt. Nd so stand sie am Fenster, nachts, und kämmte sich das Mehl aus den Haaren und sang mit leiser Stimme

Dû bist mîn, ich bin dîn.

des solt dû gewis sîn.

dû bist beslozzen

in mînem herzen,

verlorn ist daz sluzzelîn:

dû muost ouch immêr darinne sîn.

Mein Mann hat einfach an manchen Tagen Spüli im Kopf.

Achtung, sagte er, ich glaube du bist Juliette. Er sah mich an als habe er einen Sechser im Lotto gewonnen. Zu so einem albernen Beuteblick sind auch nur Männer fähig. Dafür, dass du seit dem zwölften Jahrhunderts in Frankreich lebst, sprichst du aber ein miserables Französisch, sagte ich. Und was antwortet er? Er habe nicht die ganze Zeit in Frankreich gelebt. Um dumme Ausreden ist mein Mann nie verlegen. Wo er denn die ganze Zeit gelebt habe, wollte ich wissen. Darauf die geheimnisvolle Antwort, mal hier mal dort.

Mein Mann ist nicht von dieser Welt.  Allein schon seine Ernährung. Er verweigert konsequent jede Art von Gemüse, isst nie Obst, mag keine Kartoffeln, von Salat, Gurken oder Obst ganz zu schweigen. Mein Mann mümmelt lieber Bot mit Belag. Irgendwie fernräumig, dieses Verhalten. Sein Gang ist eilend, dabei biegt er den dürren Körper nach vorne. Abgesehen von dieser seltsamen  Lauftechnik betreibt er keinen Sport. Er bewegt sich rechtwinklig, Bögen oder Kurven sind in seinem Bewegungsrepertoire noch nicht gespeichert. Mein Mann ist ein Spielzeug aus einem anderen Jahrhundert. Als ich ihn das erste Mal nackt sah, entdeckte ich auf seiner linken Pobacke ein Zeichen. Als ich es mir genauer anschaute war es ein Großbuchstabe, ein E, das mich vom Buchstabentyp an eine Futura erinnerte. Was ist das, fragte ich meinen Mann. Ich weiß nicht, sagte er, ein Muttermal, damit wurde ich geboren. Mit einem E auf dem Po? Seltsam. Ich nahm eine Lupe und sah mir das Zeichen genauer an. Es war etwa so groß wie ein fünfzig Cent Stück. Es war flach und glatt und wirkte so als  sei es auf die Haut gestempelt. Als sei mein Mann nach Fertigstellung mit einem Firmenzeichen versehen worden.

Wir saßen in der Coupole und beobachteten das  Leben auf dem Boulevard. Da eilten sie entlang, von links nach rechts und von rechts nach links, die Passanten, die Pariser, die Proleten, Poeten und Politiker, die Pensionäre, Pennäler, Penner und Philosophen  und dahinter schoben sich Stoßstange an Stoßstange Autos aller Fabrikate, Größen, Formen und Farben die Straße hinauf und hinunter. Und dazu wehte der Wind so international aus allen Richtungen gleichzeitig, dass es ein meteologisches Wunder war. Rechts neben uns fünf Japaner, links vor uns ein deutsches Ehepaar, hinter uns Amerikaner und schräg davon vier Spanier. Die Spanier, zwei junge Paare verschlangen Austern, tranken Weißwein und waren am Kichern. Die Amerikaner in Cordhosen und karierten Farmerhemden, Bartgeflecht im Gesicht, verspeisten Spiegeleier mir gerösteten Kartoffelstäbchen. Dazu tranken sie Champagner. Auf dem runden Tisch ein Buch: Quiet days in Clichy. Vor uns die Deutschen. Ein Mann, nackenstark, hoch ausrasiert am Hinterkopf, die Ohren noch rötlich vom abendlichen Weingenuss, ihr Haarschnitt ähnlich borstig blond, das Gesicht seltsam entweiblicht, der Blick prüfend streng in alle Himmelsrichtungen, vor sich eine Flasche Mineralwasser und Salatblätter aus Nizza. Die beiden sprachen laut und ungeniert über Hotelpreise, Restaurantpreise, Eintrittspreise, Reisekosten, Benzinpreise, Rentenansprüche und Krankenversicherungen und Frechheiten, Zumutungen und ähnliche urlaubsbedingten Unverschämtheiten. Rechts die Japaner, die mit Leidenschaft ihr Frühstück fotografierten, Croissant mit Lachs. Mein Mann, wie nicht anders zu erarten, genervt. Mein Mann hasst die Enge. Nur neulich, vorm Fernseher, als der Sportkommentator während eines Tenniswettkampfes zwischen Venus Williams und Justine Henin sagte, das Match wäre ja ein ganz enges Höschen, da brach er in schallendes Gelächter aus. Aber hier? Freiwillig würde er sich nie in ein Bistro oder eine Brasserie setzen. Ich muss ihn schon dazu überreden, fast zwingen.  Sein Hang sich von der menschlichen Gemeinschaft abzukoppeln ist sehr ausgeprägt. Die Ursache für dieses Verhalten liegt in frühkindlichen Erlebnissen, die meinen mann zu dem Schluß haben kommen lasen, die Menschen zu meiden. Ein Grund sind sicher seine Spitznamen. Entweder wurde er Butzi oder Prinz Doof gerufen. Jetzt saß, nein, hockte mein Prinz Doof zusammengekrümmt aber nicht unelegant auf einem geflochtenen Bistrostühlchen, die Beine aus Platzmangel übereinander geschlagen und durchforschte mit hochkonzentrierten Gesichtszügen die Speisekarte. Dabei war mir sofort klar, was er bestellen würde. Mein Mann bestellt in allen Bistros dasselbe: Croque Monsieur. Mein Mann ist ein echter Feinschmecker. Das steht fest. Der Ober, kurzes rotes Jäckchen, schwarze Hose kam und mein Mann bestellte wie ich es erwartet hatte einen Croque Monsieur. Dazu sagte er noch in seinem perfekten Französisch: Sans tout, ohne alles. Der Ober zog ein lustiges  Gesicht, seine bretonische Langnase wackelte vor Vergnügen, das schmale Bärtchen unter der Nase wellte sich wie Seegras an der Düne, die blauen Äuglein schauten schmeichelnd wie nur gallische Augen eine Frau betrachten können zu mir, dann wandte er sich an einen Kollegen, der lässig an einer Säule lehnte und rief: Monsieur möchte einen Croque sans tout. Und wieder zu meinem Mann: Ohne Brot, ohne Schinken, ohne Käse, ohne Teller? Ich musste lachen, was dem Ober schnmeichelte, denn er sagte zu mir, quelle histiore.  Mein Mann aber regierte humorlos bis hysterisch und bellte: Ohne Salat. Und zu mir: Ich hasse diesen Laden. Jetzt komm mal runter, sagte ich. Mein Mann verhält sich leider sehr oft wie ein kleines Kind. Vielleicht ist er das auch immer geblieben, denn nun war er beleidigt und schaute mit genervtem Gesicht an den Deutschen vorbei auf den Boulevard. Heul doch, stichelte ich weiter. Ich weiß schon wie ich meinen Mann reizen kann. Und um ehrlich zu sein, es bringt mir sogar Vergnügen. Ich könnte mich wegschmeißen vor Lachen, wenn ich sehe, was er für ein Gesicht zieht. Er flunscht, das heißt, er schiebt das Unterkinn nach vorne und fixiert starr irgendeinen Punkt in der Ferne. Von der Seite betrachtet sieht er aus wie ein Idiot. Was hat Butzi denn jetzt, fragte ich. Ich konnte es nicht lassen. Aber bevor Butzi etwas sagen konnte, brachte der Kellner meinen grand chreme und Butzi den gewünschten Croque. Auf seinem Teller lagen zwei cross geschmorte Toastscheiben. Zwischen den Scheiben hingen lappig Schinkenscheiben und oben auf dem Toast klebte gelber geschmolzener Käse. Neben dem Croque zwei Salatblätter, an denen mein Mann sofort seine Wut ausließ. Er deutete mit dem Finger auf die Blätter. Ca c’est quoi ca? Habe ich nicht ausdrücklich ohne Grünzeug bestellt. Ach, laß doch sagte ich, die Blätter esse ich. Daraum geht es nicht. Ich mag es nicht, wenn meine Anordnungen nicht befolgt werden, maulte er fast weinerlich weiter, schnitt aber ob nun hungrig oder nur neugierig ein Dreieck aus dem Croque, pikte das Teil auf die Gabel und hielt es prüfend ans Licht.

Das sieht immerhin gut aus, stellte er fest. Er steckte sich das Dreieck in den Mund und begann darauf herumzukauen. Eine weitere Eigenart von Butzi ist, dass er kaum seine schneidezähne benutzt. Er srteckt sich alles seitwärst in den Mund. Mein Mann meint, wenn man etwas nicht benutzt könne es auch nicht kaputt gehen. Diese Auffasung ist natürlich vollkommen falsch. Ich habe ihm schon tausens mal gesagt, dass es genau anders rum ist, aber er hört nicht. Er wird es erst dann einsehen, wenn die Schneidezähne vor ihm auf em Tisch liegen. Er kaute konzentriert und mit dem Gesichtsausdruck des kulinarisch verwöhnten Feinschmerckers vor sichg hin und nachdem er den Bissen runtergeschluckt hatte sagte er: Der schmeckt gut. Als mein Mann sich ein zweites Dreieck aus dem Croque schneidet, beugt sich einer der japaner vom nebentisch zu Butzi. Can you please make an foto fromm e und my family. Und hält meinem mann eine Kamera hin. Je mange, sagt mein mann und auf deutsch: Und fotografieren kann ich auch nicht. Foto,m please, foto please, bettelt der japaner ungerührt weiter, offenbar weder des deutschen noch des französischen mächtig und schon gar nicht kann er verstehen, dass es Leute gibt, die nicht fotografieren können. Aber mein Mann ist technisch tatsächlich sehr unbegabt und Fotos sind ihm ein Greul, während ja der Asiate in der Kamera das dritte Auge sieht.

Picture me, please, bettelt der Japaner weiter. Mein Mann legt entnervt das Besteck auf den Teller und nimmt die Kamera. Thank you, so nice, wait a moment. Die Japaner, zwei Frauen, drei Männer, rücken eng zusammen und strahlen Butzi an. Butzi sieht mich an. Verzweifelt, nach Hilfe flehend. Aber ich habe es mir schon lange abgewöhnt auf diesen Blick hereinzufallen. Ich helfe ihm nicht mehr, wenn er wegen einer Lappalie wie ein Kleinkind schreit. Als pädagogisch kluge Frau mache ich ihm aber Mut: Du schaffst das, sagte ich.  Das hilft. Mein Mann hält er sich die Kamera ans Gesicht und drückt mutig auf den Auslöser. Wait, sagt der Japaner. Die fünf gruppieren sich neu. Picture please. Butzi drückt wieder auf den Auslöser. Thank you, strahlt der Japaner.  And now picture from you. With your daugther. That is not my daughter, that is my wife, sagt mein Mann. Lucky you, sagt der Japaner, closer please. Ich rücke an meinen Mann. Der hält linkisch sein Besteck in den Händen und schaut verlegen auf seinen croque. Look at your wife, sagt der Japaner.  My croque is now cold, bemerkt Butzi. I order a knew one. Garcon, bring to my friend a warm Croque. Thank you so much. Nice to meet you. Er gibt uns seine Karte. Keno Attawari. Foodstylist. Okinawa.

In dieser Stadt sind alle immer in Bewegung. Rauf ubnd runter, hin und her, denn einmal setzen kostet mindestens zehn Euro. Nach dem Cafe besuchten wir den Friedhof Montparnasse Über einen der  geharkten Sandwege, der  zwischen den Gräbern hindurch führte, rollte ein drolliges Gefährt. Dicke Gummireifen, auf dem Sitz ein Schwarzer in dunkler Uniform, die großen Hände drehten an einem kindlich kleinen Lenkrad, drei Schaltknäufe mit dicken roten Kugeln am Ende wuchsen aus dem Motorraum seitlich in die Höhe und im Rücken des Fahrers befand sich ein ovaler grüner Wassertank.  Aus einer sich langsam drehenden Düse wurden Wassertropfen verspritzt, Tränen der Trauer sausten durch die Luft und selbst auf meinem Gesicht landeten drei, vier Tropfen, die langsam an meinen Wangen abperlten.
© Constantin Hahm 2014