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Über Hamburg hing gefrorener Nebel, die Elbe erinnerte mich an einen fest verschlossenen silbernen Reißverschluss, der zwischen den Ufern aus Stein lag.  Es war kalt.  Aus den Mündern der Hanseaten entwichen weiße Atemwolken. Hinter dem blauen Metallbauzaun am Ballindamm wummerte hartnäckig eine Dampfpresse Stahlträger in die entblößte Erde. Wundmale des Wahnsinns.

Ein mürrischer Polizist verteilte Strafzettel, mal hier einen mal, dort einen.
Guck mal den Polizisten, sagte ich zu Luise.
Was ist mit dem, fragte Luise.
Nichts, sagte ich, meine Großmutter hat immer gesagt, von denen kann es gar nicht genug geben.
Sag ihm das, forderte mich Luise auf. Dann freut er sich. Aber ich wette du traust dich nicht.
Du mit deinen Mutproben, sagte ich, das nervt auch langsam.
Dich muss man auf Trab halten Freundchen, sonst schläfst du mir noch im Gehen ein.
Ja, ja, wenn ich da noch an Dänemark denke. Da wurde mir endgültig klar, dass du leicht irre bist.
Hat doch aber Spaß gebracht. Jetzt sag bloß noch, dass das keinen Spaß gebracht hat.
Schon. Aber trotzdem.

Es war Sommer. Sommer in Dänemark. Wir lagen leicht bekleidet und ebenso leicht gelangweilt am Strand. Das Meer wirkte auch leicht gelangweilt und warf beleidigt Wellen an den Strand.
Was will uns das Meer wohl damit sagen, überlegte ich.
Das wir uns ins Wasser schmeißen sollen?

Luise trug einen einteiligen knallroten Badeanzug, ein knapp geschnittenes Teil, indem sie sich wohl fühlte und andere verrückt machte. Besonders mich.

Ich frage mich, was die sich eigentlich denken, sagte ich.
Wer sind bitteschön die?
Die Modemacher, besonders die, die Badeanzüge für die weibliche Welt entwerfen.
Wieso?
Na ja, wollen die mich verrückt machen?
Genau, du hast es mal wieder erfasst. Die wollen dich verrückt machen, indem sie dich zwingen mich andauernd anzuschauen. Du sollst vor lauter Schaulust den Verstand verlieren. Nicht mehr weggucken können. Klebeblick nennen wir das.
Und wer ist jetzt wir?
Wir Frauen.
Verstehe.
Meinen Badeanzug hat übrigens eine Frau entworfen, eine Japanerin.
Das hat sie ja sauber hinbekommen, lobte ich

Das Meer warf weiter beleidigt Wellen an den Strand, so Kinderwellen mit weißem Schaumrand. Am Horizont lag unbeweglich ein Containerschiff.
Sieht aus wie ein Stück Seife, sagte ich.
Finde ich nicht, eher wie ein grauer Schuhkarton.
So kantig und rechteckig.
Was der wohl geladen hat. Ich meine, was sich wohl alles in den Containern befindet.
Sicher nur Badeanzüge aus Japan.

Wie kommt diese Japanerin eigentlich dazu, derartig sexistische Badenzüge zu entwerfen. Ich meine, was geht im Kopf dieser Frau vor. Welche Absicht steckt dahinter. Ich meine, wenn ich zum Beispiel zum Bäcker gehe, dann habe ich ja eine Absicht. Ich will ein Brot kaufen, weil ich Hunger habe. Oder wenn ich in eine Buchhandlung gehe, dann deswegen, weil ich ein Buch kaufen möchte. Und in ein Schuhgeschäft gehe ich, um einen Schuh zu kaufen.

Ja und? Wohin führt Aussage?

Wenn sich Luise gelangweilt fühlte, sprach sie absichtlich so als ob sie kein richtiges Deutsch könne. Dann machte sie auf Rumänin oder Russin, jedenfalls etwas ostisches. Das rollende R fand sie dabei besonders lustig. Aber da konnte ich mithalten.

Aussage will sagen, dass Japanerin Absicht verfolgt. Wie alle Asiaten. Asiate verfolgt immer Absicht. Asiate machen nichts ohne Absicht. Je mehr Absicht, desto besser, desto geheimnisvoller ist es. Undurchschaubar wie Dschungel in Vietnam. Ich vermuten, Japanerin hat zwei Absichten. Motiv undurchsichtig wie Monsunregen.

Jetzt komm mal runter von deinem Asiengefasel, sonst du bekommen Ohrfeige.

Ja, Luise verpasste mir manchmal einen verspielten Wangenstreich. Das gebe ich hier zu. Besonders gerne machte sie das in der Öffentlichkeit. Muss wohl so ein Frauending sein. Und wieder klatschte das Meer eine Ladung Wellen an den Strand. Das  grünliche Wasser sabberte den Sand nass, so als müsse der in regelmäßigen Abständen gesprengt werden. Die Natur zeigt ja oft gerade zu lächerliche, ja alberne Angewohnheiten. Die Ohrfeigen von Luise fühlten sich sanft und trotzdem streng an, um das Thema noch einmal aufzugreifen. Also mit häuslicher Gewalt hatte das nichts zu tun.

Ich würde gerne wissen, ob diese Japanerin diese Badeanzüge entwirft, um bewusst Frauen zu Sexualobjekten zu machen. Wenn das so wäre, würde sie diese Badeanzüge aus dem Blickwinkel eines Mannes schneidern lassen. Oder aber sie will mit Absicht die Macht zeigen, die eine Frau über einen Mann hat, indem sie sie diese Badeanzüge tragen lässt, aus einem Gefühl des Stolzes. Um damit dem Mann seine Abhängigkeit von der Frau spüren zu lassen. Das ist alles sehr manipulativ durchdacht, eben asiatisch. Das Bewusstsein wird so durcheinander gebracht, dass es nicht mehr weiß, woran es ist. Besonders eben das männliche.

Geschieht euch ganz recht. Ihr habt uns über Jahrtausende unterdrückt. Jetzt sind wir mal dran.

Und das Meer? Was sagte das Meer dazu? Das Meer schlappte wieder eine Ladung Kinderwellen ans Land. Das Geräusch, welches dabei entstand war neckisch klatschend, schelmisch, wie die Wangenstreiche von Luise. Andere küssen sich.

Wo bloß dieses ganze Wasser herkommt, wollte ich wissen.
Aus der Leitung bestimmt nicht, sagte Luise. Soll Wasserdampf sein. Oder aus Wasserdampf entstanden sein, weil Wasser ja nicht Dampf, aber aus heißes Wasser entsteht Dampf und er schlägt sich nieder und wird wieder zu Wasser. Und in dem Wasser kochen Asiate immer zu Reis. Die Frage ist nun, ob Dampf aus heißem Wasser die selbe Menge macht wie vorher Wasser da war in Behälter. Weil irgendwann müssen Meer ja mal leer sein. Schmeißt immer Wellen an den Strand und wird trotzdem nicht alle. Wie kann sein das? Du mich sagen. Ich dummes kleines Mädchen.

Luise räkelte sich auf der Decke an mich ran. Ich legte meinen Arm um sie, ich meine, ich legte einen Arm um sie, ich habe ja zwei davon, da sollte man schon bei der Wahrheit bleiben, ihr verpflichtet sein und dann muss ich auch sagen, nein gestehen, das meine Hand ihren Rücken streichelte und dann natürlich auch eine fast nackte Pobacke berührte, den die Japanerin hatte da ganz schön am Stoff gespart, vielleicht, weil sie wusste, dass Luise und ich hier am Strand in Dänemark liegen würden, vielleicht weil die Japanerin mit ihrer östlichen Weisheit wusste, was sie für ein Glück mit ihrem Badeanzug schenken würde. Frauenglück, von Frau zu Frau gereicht sozusagen. So wie Männer andere Männer glücklich machen, weil sie Sportwagen entwerfen. Oder so.  Luises Haut fühlte sich an als sei sie mit einem speziellen Pflegemittel für Karosserien poliert worden. Und das Meer beehrte uns aufs Neue mit einer Ladung Kinderwellen. Wie überhaupt diese Ferien mit Luise etwas kindliches hatten.

Komm, rief sie und sprang auf. We go swimming.

Das Meer schlappte schmatzend und lockend Kinderwellen an den Strand. Der Sand war warm, der Himmel blau, das Seegras wiegte sich im Wind.

Warum nicht, sagte ich und erhob mich ebenfalls.
Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust, sagte Luise. Während sie sich ihr Haar zu einem Knoten zusammen band.
Soll ich das Meer austrinken?
Nein, du sollst nicht das Meer austrinken sondern nackt baden
Was?
Ja, ich möchte, dass du nackt mit mir badest. Du nackt, aber ich im Badeanzug. Das hat doch was. Das wirkt so emanzipiert.
Findest du?
Du traust dich nicht.
Kinder baden nackt, sagte ich.
Schwachsinn. Erwachsene auch. Außerdem weiß ich wie du nackt aussiehst. Also wo ist das Problem? Ich tu dir ja auch jeden Gefallen. Wenn du sagst, zieh bitte das rote Kleid an, dann mache ich das, um dir eine Freude zu machen. Wenn du sagst, kannst nicht mal wieder die schwarze Unterwäsche anziehen, dann ich das machen. Und warum ich das machen? Weil ich dich libben. Und heute möchte ich, dass du mir eine Freude machst, indem du nackt badest. Das gibt mir so ein herrliches Gefühl der Macht über dich. Mein Freund ist mir hörig. Mein Freund gehorcht. Er tut was ich sage. Mein Freund ist ein Maso. Also runter mit der Badehose. Die passt auch gar nicht zu dir, die sitzt schlecht.

Und wenn mich jemand sieht?
Hier sehe nur ich dich. Hier ist sonst niemand. Links leeres Strand, rechts leeres Strand. Ende der Durchsage.

Ich wäre überhaupt immer so prüde, das wolle sie mir jetzt einmal abgewöhnen. Und wenn ich kooperieren würde, dann würde sie mich nachher zum Essen einladen, zum Chinesen am Hafen. Zur Belohnung. Sie wolle mit einem nackten Mann baden, das habe sie sich schon immer gewünscht.

Wenn ich das gewusst hätte, sagte ich, wäre nicht mit dir in den Urlaub gefahren.

Du stehen unter Aufsicht. Du müssen gehorchen. Du mein Gefangner.

Irgendwie stimmte das mit dem Gefangnen.  Ich zog mir die Badehose aus, warf sie wütend auf die Decke, auf der wir gerade noch gelegen hatten und drehte mich zum Meer. Und das Meer? Was machte das Meer. Es warf schlapperige Kinderwellen an den Strand. Die Sonne schien, es war warm und ehe ich es mich versah gab mir Luise einen Klaps hinten drauf. Auf geht’s, rief sie und stürzte sich ins Meer und ich rief, na warte und stürzte hinterher.

Später im Chinarestaurant sagte sie zu mir, das hätte ich gut gemacht. Und zur Kellnerin sagte sie, sie habe mich, ihren Freund, dazu gebracht vor ihren Augen nackt zu baden.
Oh, sagte die Kellnerin, und waren Sie auch nackt.
Ich, nein, ich trug einen Badeanzug.

Das meine ich mit Luise und ihren Mutproben. Ich ging also zu dem Polizisten, der gerade damit beschäftigt war einen Strafbefehl hinter den Scheibenwischer eines schwarzen Geländewagens zu klemmen.
Darf ich Ihnen etwas sagen, fragte ich.

Was denn, sagte der Polizist ohne mich anzuschauen. Er hatte irgendwie Mühe seinen Strafbefehl zwischen Scheibenwischer und Scheibe zu bekommen.
Von Ihnen kann es gar nicht genug geben.
Jetzt schaute er mich an. Kleine harte Augen. Die glommen wie glühende Kaffeebohnen.
Ist das Ihr Fahrzeug?
Meins? Nein.
Sie stehen hier im absoluten Halteverbot.
Als Fußgänger?
Zeigen Sie mir mal Ihren Führerschein.
Warum? Braucht man jetzt auch als Fußgänger einen Führerschein? Ich wollte Ihnen nur sagen, dass es von Ihrer Sorte gar nicht genug geben kann.
Wer sagt das?
Meine Freundin. Die steht da drüben. Ja, genau die mit dem hellen Mantel. Der gehört das Auto.
Die soll mal herkommen.
Ich winkte Luise. Du möchtest mal herkommen, rief ich.
Luise kam, sah und staunte.
Ist das Ihr Fahrzeug, fragte das Kaffeebohnenauge,
Mein Fahrzeug? Niemals. So etwas fahre ich nicht. Ich fahre einen Mini. Einen Cooper. Aber der parkt in der Tiefgarage.
Aber der Herr hier behauptet, dass sei Ihr Fahrzeug.
Ach, der. Der hat gerade Freigang.
Freigang?
Ja, der hat einen leichten Dachschaden, sagte Luise. Psychiatrische Abteilung Eppendorf. Ich muss mit dem spazieren gehen. Am liebsten würde ich ihn ja an die Leine nehmen, aber das wäre ja Freiheitsberaubung. An die Leine nehmen, wandte sie sich an mich, hast du gehört? Wie einen Hund.
Soll ich jetzt bellen, fragte ich.
Gehen Sie weiter, sagte der Polizist, Sie behindern einen Beamten im Dienst.
Machen wir. Komm Fiffi, bei Fuß.

Wir gingen zu einem Vortrag in die Kunsthalle. Wir saßen auf billig gefertigten Klappstühlen, die bei jeder Körperbewegung quietschten Der Raum lag im Halbdunkeln. Vorne stand an einem Pult der Direktor der Kunsthalle. Um seinen runden Kopf hatten sich die Locken wie Lorbeer gelegt, silbern und ein wenig verrutscht. Es sah aus als habe sich der Direktor diesen Kranz selbst zurecht gekämmt. Für Verdienste, die die jetzt Lebenden noch nicht in der Lage waren zu bemerken. Da kann man schon manchmal beleidigt gucken. So allein unter lauter Idioten. Ich kann das gut verstehen, lieber Herr Direktor. Mir geht es auch so. Der Direktor hatte den Kreis der Kunstinteressierten, zu dem auch Luise und ich gehörten (Jahresbeitrag 110.€) eingeladen, um den neusten Ankauf des Museums vorzustellen. Das Bild sei ein Stromschlag, rief der Direktor und wälzte seinen Leib wie eine Robbe am Strand nach links und rechts, eine Offenbarung, ein Zeichen, eine Deutung, eine Vision, eine Botschaft.

Fortsetzung folgt.

© Constantin Hahm 2015