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Der Portier öffnete einen Türflügel, trat höflich einen Schritt zurück und  verbeugte sich elegant.

Bitte schön, Herr Birnbaum. Das Yorrick.
Im Gegenzug trat ich einen Schritt vor und stand in einem hohen weiträumigen Raum, welcher eher an einen privaten Büchersaal als an ein Hotelzimmer erinnerte. Staunend schaute ich von links nach rechts.  Zwei mächtige Fenster in tiefen Leibungen, ausgestattet mit hölzernen Innenläden gliederten die linke Wand.  An den Fenstern gelb ausgeblichene Gardinen, aus schwerem Leinenstoff. Unter den Fenstern Heizungskörper, alte Rippen mit runzeliger Farbe. Zwischen den Fenstern ein hohes Bücherbord, tiefdunkles Eichenholz,  stämmig,  mit zwölf Querborden. Länge der Bücherwand über vier Meter. Diese bis auf den letzten Platz mit Büchern gefüllt. Davor eine Bibliotheksleiter. Der Fußboden breite schwarze Bohlen. Darauf ein alter marokkanischer Teppich, sicher vier mal vier Meter die Fläche. Auf diesem ein länglicher Kartentisch. Die Platte leer bis  auf eine schwarze Schreibtischlampe wie man sie aus alten Amtsstuben kennt. Oder kannte.  Davor ein Biedermeierstuhl mit hohem rotem Polster. Mir gegenüber das Bett. Zinnoberroter Überwurf. An Kopf- und Fußteil einfaches Messinggitter, an den Eckpfosten Kugeln. Links ein dunkler Holztisch, rechts ein alter Holztisch. Auf ihnen eine Messinglampe. Daneben in beide Richtungen ein langes Bücherbord in derselben Höhe wie das zwischen den Fenstern. Rechts und links in den Zimmerecken je ein grün gepolsterter Armstuhl. Über diesen Stühlen ein holzgerahmter Druck. Das Gesicht eines Mannes aus dem siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert. Einmal das linke Profil, einmal das rechte Profil. So gehängt, dass sich die beiden Gesichtshälften anschauten

„Wer ist das, fragte ich. „Der letzte Gast?“

„Nein. Das ist der Dichter Laurence Sterne. Der Herr hat hier übernachtet. Deshalb heißt das Zimmer auch Yorrick.“

Ich spürte wie mir wegen meiner Frech- und Dummheit Schamesröte in ins Gesicht stieg. Erst als die Glut abkühlte drehte ich mich um und staunte nun erst richtig. Links neben der Tür hing ein großes Ölbild. Eine nackte Frau, die  bäuchlings diagonal von rechts unten nach links oben das Format füllend auf einer himmelblauen Luftmatratze sonnenbadete und dabei in einem Buch las. Auf dem hellen Körper hatte sich ein noch hellerer Badeanzug abgezeichnet. Die Luftmatratze lag auf einer Wiese. Über der Frau bildeten die Blätter eines Rhododendrons ein schützendes Dach, welches aber von Schatten und Sonnenstrahlen durchbrochen wurde. Das wieder hatte zur Folge das sich einige der Blattformen als Schatten auf dem Körper der Frau abzeichneten. Auf der Wiese  Blumen. Die Ausstrahlung des Bildes friedlich, lasziv, sinnlich, unschuldig berechnend, kindlich und erwachsen zugleich.

„Wie….“ Ich suchte nach Worten. „Wie kommt dieses Bild hier her.“

„Das Gemälde? Das hat Herr Heinrich Brandstifter vor … warten Sie einmal… vor drei Jahren erworben. Auf der Kunstmesse in Köln. Das Werk stammt von dem Maler…wenig bekannt…einen Moment bitte, der Maler heißt…ist von…

Der Portier beugte sich suchend nach vorne.

Max Birnbaum, sagte ich, und der Titel lautet: Luise.

Stimmt, staunte der Portier, hier unten rechts steht die Signatur.

Er drehte sich zu mir.

Sie haben aber gute Augen. Auf die Entfernung. Bravo.

Ich habe das Bild gemalt, sagte ich. Ich heiße Birnbaum. Max Birnbaum.

Jetzt errötete der Portier. Er schlug sich mit der Hand an die Stirn.

Verzeihen Sie. Wie konnte ich so unachtsam sein, Herr Birnbaum. Und Sie sind…also so etwas. Wenn das kein Zufall ist.

Der Bar war leer. Und ich war allein. Allein unter fremden Möbeln, Bildern und  Lampen in einer leeren Bar. Der lange Tresen an dem ich saß, maß sieben bis acht Meter. Das polierte Holz glänzte vornehm dunkel, die Messingbeschläge funkelten in einer Weise, die absolut klar machten, dass sie jeden Tag auf Hochglanz poliert würden und zwar, mit Sidol, denn einige Antrocknungen dieser eierlikörfarbenen Flüssigkeit ließen sich an einer Schelle erkennen, durch welche die Fußstütze lief.

Die Bar bog dann in einem energischen Schwung nach rechts, stieß an eine Wand, machte einen Winkel von fünfundvierzig Grad und verwandelte sich vor meinen Augen in ein Regal, welches pyramidenartig aufgestapelte Gläser, Kelche und Schalen beherbergte.

Schön, sagte ich, und jetzt? Ich atmete tief durch, so als ob ich eine schwierige Aufgabe zu erfüllen hätte und dabei blieb mein Blick an dem schwarzen Telefon hängen. Und mir fiel Luise ein. Ganz klar, früher hätte ich sie angerufen. Aber heute, nach sechs Jahren Trennung? Ganz spontan mal durchläuten? Warum eigentlich nicht?

Mit einem energischen Griff nahm ich den Hörer in die Hand und wählte die Null. Tatsächlich. Das Freizeichen. Danach die Nummer von Luise. Die konnte ich immer noch auswendig. Plus Vorwahl. Es läutete. Niemand hob ab. Vielleicht umgezogen. In diesem Augenblick Luises Stimme. Aber vom Band.

Hallo Luise, begann ich seltsam erleichtert, ich wollte mich mal wieder melden. Ich bin hier in einem Hotel, mitten in der Pampa. Mein Benz hat den Geist aufgeben. Der Motor. Erst habe ich in einem Stau gestanden, hinter Göttingen. Da hat mir ein Kind immer die Zunge rausgestreckt. Stundenlang. Habe ich dieser belämmerten Göre eben auch die Zunge rausgestreckt. Und weißt du was geschieht? Die Mutter von der Göre klopft mit dem Griff eines Federballschlägers an meine Scheibe und behauptet, ich hätte ihrer Tochter obszöne Zeichen gemacht. Mit der Zunge. Ich hab gesagt, das Kind würde lügen, ich sei Kinderpsychologe. Das hat die Mutter sofort geglaubt und ich hab erzählt, dass ich die Tochter für schwer gestört hielte, aber nicht nur die Tochter sei gestört, sondern der ganze Inhalt des Autos. Das hat aber wie eine Bombe bei denen eingeschlagen. Witzigerweise arbeitet der Vater von dem Blag für das BKA und fängt…

Ich hörte ein kurzes Knacken in der Leitung und danach ertönte monoton das Freizeichen. Das Band war zu Ende. Aber ich sagte noch ziemlich laut: Auf bald. Luise.

Danach legte ich den Hörer zurück auf die Gabel.

Ja, es  war schön, als ich noch an Luises Tisch sitzen durfte und Reden hielt. Über alles Mögliche. Der große Sachverständige spricht und Luise hörte sogar zu, sie machte Einwände, gab zu bedenken, stimmte zu, regte an und entwarf Lösungen. Egal, ob es darum ging, auf welchem Wege man am schnellsten in den HL, eine Supermarktkette in Hessen, käme oder ob wir beim Käse naschen die Frage besprachen, ob hier Männer und Frauen gleich behandelt werden und sie lachte auch noch über meinen Einwand warum sollten sie, der natürlich scherzhaft gemeint war und ist. Wie auch überhaupt Luise über meine Scherze richtig lachen konnte und zwar so, dass wir uns beide die Bäuche hielten und nach Luft jappten.

Das alles bei dem Verzehr von getoasteten Wurst- und Käsebroten und dem Genuss einer kühlen Flasche Weißwein. Einmal warf ich zum Ende eines absoluten Weltverbesserungsvorschlags, nämlich die Länge eines abendlichen Stadtbummels von der Höhe des Gehaltes abhängig zu machen großkotzig meine Brieftasche (Ludwig Reiter, Wien) auf den Tisch.

Was kostet die Nacht, fragte ich.

Ich bin unbezahlbar, sagte sie, aber 300 Euro dürften für den Anfang genügen.

Sie saß  mir gegenüber.

Ich blätterte mit der Daumenspitze die Brieftasche auf.

So viel Geld, staunte sie, ein Bild verkauft?

Nein. Spende meiner Mutter. Bedien dich.“

Sie wischte mit dem Zeigefinger drei blassgrüne Scheine auf das dunkelrote Tischtuch. Dabei schaute sie mich an und verzog den geschlossenen Mund zu einem spöttischen Lächeln.

Das hatte Qualität, Esprit, das hatte Charme und Witz. So eine Frau suchte ich wieder. Bisher leider ohne Erfolg. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Deshalb drehte ich mich langsam auf meinem Hocker nach links. Ganz langsam. Also, neben mir saß definitiv niemand. Neben mir standen vier alte Barhocker. Echte Lederbullen. Stämmig, starkbeinig großmäulig. Die nahmen es mit den breitesten Ärschen auf. Und bequem waren sie auch.

Dahinter zeigte sich ein hohes Fenster mit Parklandschaft. Rasen, Büsche, ein Kiesweg auf dem zwei Menschen gingen. War das nicht? Von der Körpergröße schon, aber nicht von der Bewegung. Luise ging immer sehr schnell. Diese Frau hier ging anders. Die ging lässig entspannt im Licht der absinkenden Sonne an der Seite eines Mannes, der einen rostbraunen Cordanzug trug, indem er leider ausschaute wie ein schleichender Fuchs auf zwei Beinen.

Ich folgte ihnen mit den Blicken. Sie blieben stehen. Der Fuchs gestikulierte großräumig mit den Vorderpfoten, während das gelbe Kleid herzlich lachen musste. Dann gingen sie schlenderten sie weiter und ich drehte mich spähend ihnen nach, bis sie aus der Fensteröffnung verschwunden warfen und mein Blick innen auf einer halbhohen Wandverkleidung aus Eichenholz weiter lief, unter zwei dunkelgrünen Lampenschirmen hindurchtauchte, um danach vor zwei imposanten Sesseln aus dem Rokoko halt zu machen. Eng neben den Sesseln standen fast ängstlich drei kleinere Sessel, die ihren Eltern verblüffend ähnlich sahen.

Sind Sie der Herr vom Finanzamt, hörte ich eine strenge Stimme.

Sehe ich so aus, fragte ich zurück und drehte mich um, konnte aber kein menschliches Wesen erkennen.

Ach, wissen Sie, meldete sich die Stimme, die aus einem der Sessel sprach, die einladend vor einem Kamin drapiert waren, ach wissen Sie, heute sehen die Leute nach gar nichts mehr aus. Der eine wie der andere, deshalb kann man heute nicht mehr so einfach vom Äußeren auf das Innere schließen.

Das konnte man noch nie, erwiderte ich.

Da täuschen Sie sich aber sehr, sagte der Sessel mit scharfer männlicher Stimme, einem Dieb wurde die Hand abgehackt, da wusste jeder bescheid und einem mutigen General wurden Orden verliehen.

Umgekehrt wäre es besser gewesen, sagte ich und dachte erst jetzt verblüfft:

Ich kann mit Möbeln sprechen. Eine Einbildung. Ohne Frage. Ursache: Übermüdung. Ich schaute trotzig auf eine Kuckucksuhr, die über einem holländischen Seestück hing.

Na du hässlicher Kasten, fängst du auch an zu reden?

Nichts. Die Klappe, aus der es stündlich krähte, blieb verschlossen. Mein Blick stach und stocherte in einen dunkleren Bereich der Barhalle.  Da lauert tatsächlich ein Klavier. Mattschwarz der Körper, getragen von stabilen Beinen. Der Deckel fest geschlossen.

Dem Pianisten habe ich neulich den Deckel so auf die Finger geknallt, dass zwei Finger gebrochen wurden, tönte das Klavier leise aber gut verständlich und ohne Mitleid.

Der Herr Pianist, der hat so falsch gespielt, dass ich Seitenstiche bekommen habe und seitdem bin ich vollkommen verstimmt. Sie sind wohl nicht der Klavierstimmer.

Nein, sagte ich.

Schade. Früher gab es viel mehr Leute, die ein Klavier stimmen konnten. Warum kommt die Frau Prof. Knuth nicht mehr? Weil das Hotel sparen muss.

Wenn das Hotel die Betriebskosten nicht senken kann, geht es uns bald allen den Kragen, mischte sich der Sessel ein, dann landen wir zum Schluss in einem Möbelvernichtungslager und werden zu Sägemehl verarbeitet. Meine Familie stammt aus 16. Jahrhundert und droht demnächst im Holzschredder zu enden. Ich fass es nicht. Die Achtung vorm Alten fehlt einfach überall. Wenn Sie nicht vom Finanzamt sind, wer Sind sie dann. Geben Sie sich erkennen, Sire.

Ich bin ein Künstler, sagte ich.

Ein echter Künstler?

Als Künstler bin ich so echt wie Sie als Rokokosessel.

Welche feine Wahl der Worte, hört, hört. Bei welchem Regiment dienten Sie zu letzt?

Das waren die Panzeraufklärer in Lüneburg und das war vor vierzig Jahren. Wetter so ähnlich wie heute.

Wenn Sie ein Künstler sind leben Sie lieber in einer künstlichen als in einer realen Welt. Unter diesen Gesichtspunkte würde ich Ihnen gerne meine älteste Tochter als Gemahlin anvertrauen. Sie scheinen mir ein gewitzter Mensch zu sein und genau den braucht Marie-Luise. Bevor ich sie nicht vermählt habe, können auch ihre Schwestern nicht heiraten. So will es das Hausgesetz. Marie-Luise ist ein melancholisches junges Fräulein. Aber ich glaube, Sie werden sie zum Lachen bringen.

Ja, gibt’s das denn dachte ich. Jetzt soll ich einen Sessel heiraten?

In uns haben schon Grafen, Herzöge, Könige Behaglichkeit gefunden, sagte nun die breit gewölbte Gattin neben dem sprechenden Sessel, und in Kleve sogar ein Kaiser. Als es so schrecklich regnete. Ich hoffe inständig, wir erleben noch den Tag, wo wir unsere angestammten Plätze wieder einnehmen dürfen. Zuhause bei den Hohenzollern.

Ihr Mann führte mir den Tatbestand noch schnörkeliger aus als nötig, denn er erklärte mit wellig gebogen Worten in höfischem Plauderton, dass die ganze Familie an Heimweh litte, aber er, seine Gattin und seine drei Töchter würden aus dieser Zeit des Exils das Beste machen. Ganz langweilig sei es immerhin nicht. Besonders Samstagabend sei hier immer eine Menge los. Gut, das Publikum, die Damen und Herren, denen wir jetzt als Ort der Entspannung dienen, das hat sich verändert. Die Herrschaften reden heute viel schneller und zum Teil auch sehr unverständlich.

Und leider, klagte die Gattin, spüre ich auch eine deutliche Verrohung der Sitten. Wie sich manchmal jemand auf mich drauf wirft, das sei einfach nur grauenhaft. So plumsig, so bräsig, so ohne jede Eleganz, ohne Erziehung. Da habe sie aber frührer ganz andere Empfindungen gehabt. Die Herrschaften damals hatten eine Erziehung, die war tadellos.

Die drei Töchter im zarten Alter von fast dreihundert Jahren strahlten mich bei diesen Worten in vornehmer Blässe an, besonders der Blick von Marie-Luise in dieser wunderschönen verzweifelten Ernsthaftigkeit ging mir ans Herz.

Die Ereignisse des Tages schwammen wie blitzende Forellen in einem reißenden Gebirgsbach an mir vorbei. Sie tauchten in das schwirrende Wasser der Vergangenheit, um an andere Stelle durch die Luft der Zukunft zu fliegen. Wer kann sich dabei konzentrieren? Ich nicht. Um mich aber auf das Wesentliche zu konzentrieren, nämlich die Frage, wie es weiter gehen sollte oder könnte, griff ich zu einem altbekannten Hausmittel. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. So tief ich nur konnte. Ich sog meine Lungen so voll, dass es bereits schmerzte. Dann verharrte ich einige Sekunden und danach blies ich die Luft wieder aus meinem Körper. Uns zwar durch den Mund. Man muss sich nur zwei Sachen merken. Durch die Nase rein, durch den Mund wieder raus.

Dabei ist es so, dass ich mich beim scharfen Lufteinzug durch die Nase aufrichte, den Brustkorb nach vorne presse und gleichzeitig das Kreuz durchdrücke, auch mein Kopf hebt sich nach oben. Die Schultern waagerecht gerade, die Arme leicht angewinkelt. Dann das Luftablassen. Maul auf und ausatmen als sei man dicht vorm Lungenriss.

Ich griff nach meinem Taschentuch. Irgendetwas war mir in den Hals geflogen und trieb mir die Tränen in die Augen.

In diesen Moment öffnete sich eine schmale, von mir bisher unbemerkt gebliebene Tapetentür hinter der Bar und der Barkeeper erschien. Er trug eine weiße Uniform mit goldenen Tressen auf den breiten Schultern, dazu eine schwarze Fliege, er lachte mich an und er sah aus als gäbe es keinen besseren Kapitän auf der Brücke seiner Bar als ihn.

Willkommen an Bord, rief dieser Profi auch noch, warten Sie schon lange? Mein Dienst beginnt erst um halb sechs.

Nein, nein sagte ich, ich habe zu früh angemustert, mich aber in der Zwischenzeit prächtig unterhalten. Ich sah zu Marie-Luise und zwinkerte ihr schelmisch zu.

Das glaube ich gern. Hier findet sich immer ein Gesprächspartner. Das haben gut geführte Bars so an sich. Was darf ich Ihnen anbieten. Auf Kosten des Hauses natürlich.

Einen Gintonic, der  wäre jetzt genau richtig.

Der Keeper griff zielstrebig nach verschieden Flaschen und schüttete zwei Flüssigkeiten in zwei großes Gläser. Eins davon schob er zu mir.

Bitte schön. Auf Ihr Wohl. Eigentlich darf ich nichts trinken, aber ich mach es trotzdem. Einen zum Dienstbeginn und einen zum Dienstende. Und jetzt ist Dienstbeginn. 17.30. You are wellcome, Sir.

Haben wir nicht alle einen Hang zu verbotenen Handlungen? sagte ich beschwichtigend.

Das zu hören beruhigt mich sehr. Ich dachte schon, ich wäre allein mit meinen Sünden. Wie sehen denn Ihre aus, wenn ich fragen darf. Sie müssen aber nichts sagen, wenn Sie sich damit selbst belasten.

Der Keeper hob lächelnd die Hände, feuerte aber ganz südländisch verwegen noch eine Frage ab.

Schon mal gesessen?

Ich verstand: Schon was gegessen? Und erwiderte: Nein, noch nicht.

Darauf er: Aber ich. Acht Jahre.

Darauf ich: Acht Jahre? Das Gericht kenn ich nicht. Ich kenne nur acht Kostbarkeiten vom Chinesen.

Sie haben mich falsch verstanden. Ich war im Knast. Acht Jahre. Und ich habe Sie gefragt, ob Sie schon mal gesessen haben.

Ach so, sagte ich, nein. Nicht das ich es wüsste.

Sie wüssten es. Glauben Sie mir. Den Aufenthalt vergisst keiner. Im Knast herrschen dieselben Strukturen wie draußen. Es gibt Hierarchien. Ein Kinderschänder genießt keinerlei Achtung. Der wird so fertig gemacht, dass er darum bettelt in Einzelhaft genommen zu werden. Bank und Juwelenräuber, die Millionenbeute ohne Tote gemacht haben wohnen ganz oben mit vielen Vergünstigungen. Clevere Kerle, die alles auf die Sekunde planen und durchführen und dabei keiner Seele etwas antun.

Und was war es bei Ihnen?

Nichts Tolles. Untere Laufbahn. Beschaffungskriminalität. Ich war drogenabhängig. Ein Raubüberfall aus Habgier. Davor Ladendiebstähle. Aber ich bin schon seit Jahren resozialisiert. Vollständig. Sie können mir getrost Ihre Brieftasche anvertrauen. Und wissen sie wem ich mein neues Leben zu verdanken habe?

Keine Ahnung.

Einer Frau. Der Tochter des leider im letzten Jahr verstorbenen Besitzers dieses Hotels, die hat mich trotz meiner Vorstrafen als Barkeeper eingestellt, vor acht Jahren. Und die riet mir, ich solle mir für meine Freizeit, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen eine sinnvolle Beschäftigung suchen.

Und haben Sie eine gefunden?

Allerdings. Die Malerei. Ich bin natürlich ein Laie, ein Hobbymaler, ein Autodidakt. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Erst habe ich angefangen die großen Meister abzumalen. Aber wissen Sie was viel besser geht?

Na?

Das Abmalen von unbekannten Meistern. Und wo finden Sie die?

Na?

Auf Flohmärkten und in irgendwelchen Krabbelkisten. Hier. Schauen Sie mal.

Der Keeper griff unter den Tresen.

Diesen Katalog habe ich vor einem Jahr gefunden. Ich find den super. Schon mal gehört den Namen? Max Birnbaum. Toutes direction. Schon mal gehört?

Nein, sagte ich. Und zuckte sogar noch mit den Schultern. Noch nie.

Und ich setzte noch nach.

Muss man den kennen?

Das ganz treuherzig gesprochen.

Ach was, winkte der Keeper ab, den kennt kein Mensch, obwohl, schauen Sie sich mal das an. Hier, was ist das?

Sieht aus wie ein Hund.

Ist aber ein Pferd.

Und das hier. Was sagen Sie dazu. Ein Eichhörnchen am Klavier. Ja, wo sind wir denn. Wo steht denn die Moderne? Als Eichhörnchen am Klavier?

Er schlug eine weitere Seite auf. Was sagen dazu? Ein Kreuzworträtsel. Das finde ich schon ziemlich genial. Aber das hier auf dieser Seite, das ist der Hammer. Wie finden Sie das.

Gewagt, sagte ich.

Das ist Luise, sagte der erste Offizier der Mixgetränke

Woher wissen Sie das?

Meine Stimme wurde rau.

So heißt das Bild. Da steht es doch.

Stimmt, sagte ich.

Dieses Bild habe ich kopiert.

Was Sie nicht sagen.

In welchem Zimmer logieren Sie?

Im Yorrick.

Da hängt es.

Nein.

Doch.

Das da oben soll eine Fälschung sein?

So ist es.

Aber…

Sie haben gedacht, das ist ein echter Birnbaum? Falsch gedacht.

In diesem Moment der Wahrheit meldete sich der Kuckuck aus der Wanduhr. Es war achtzehn Uhr. Die Tür sprang auf, der Kuckuck rutschte zerzaust auf einer Metallschiene nach vorne und kukukte mit großer Wichtigkeit sechs mal. Dann machte er das Maul wieder zu, die Schiene zog sich in den Kasten zurück und die Tür würde vernehmlich zugeschlagen.

© Constantin Hahm 2006